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ein Gespräch mit der fabelhaften Leonore

Leonore – oder auch Lea – ist einer der kreativsten Menschen, die ich kenne. Wir trafen uns zum ersten Mal während des Kunstgeschichte-Studiums in Wien. Meine ersten Erinnerungen an sie sind eine Mischung aus Origami-Kranichen, Mohn-Püppchen, Punsch, Orangenschalen, lustigen Dialektsprüchen und ein Hauch von Summer aus (500) Days of Summer (die Augen, die Stirnfransen, die Kleider <3). Das ist nun über 10 Jahre her. Mittlerweile ist sie aus einer kleinen Gemeinde in Oberösterreich nach Kanada ausgewandert und hat viele spannende Berufe ausgeübt. Ich freue mich, dass sie zugesagt hat meine Fragen per Facetime zu beantworten! Viel Vergnügen in Leonores fabelhafter Welt! :)

 

Wie verbringst du im Moment deine Zeit? 

 

Seit Anfang des Jahres habe ich ca. 300 Masken genäht und verteilt, Pullis gestrickt, viel gelesen, bei einer Portrait-Zeichen-Challenge mitgemacht, einen Gemüsegarten angelegt und bebaut, die Wohnung ausgemalt und verschiedene Polsterei- und Näharbeiten für Freunde und Bekannte übernommen. 

 

Vor Kurzem bin ich mit zwei Stühlen fertig geworden. Das war ein Restaurier-Projekt, das mir meine Schwiegermutter zugetragen hat. Sie hat zwei Sessel günstig bekommen, einer davon bis auf's Holzgerüst zerlegt und beim anderen war die Polsterung zerschlissen. Ich habe Material besorgt, einige Bücher von der Stadtbücherei bei uns in Manitoba (Canada) ausgeliehen und gelernt, wie man das richtig macht. 

 

Hattest du darin Erfahrung? 

 

Ich habe bisher schon sehr viel mit Stoff gearbeitet in verschiedensten Techniken, aber Möbel aufzupolstern war eine neue Herausforderung, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Es war für mich fast eine meditative Arbeit mir zu überlegen, wie etwas aufgebaut ist, damit etwas, das zweidimensional ist (weil Stoff ist mehr oder weniger zweidimensional), dreidimensional zusammenpasst. An solchen Projekten zu arbeiten und die einzelnen Arbeitsschritte sind für mich eine Möglichkeit in den Flow zu kommen. [Flow, psych., beschreibt ein positives emotionales Erleben einer Tätigkeit, bei der eine Person ganz auf ihr Tun konzentriert ist und darin so aufgeht, dass jegliches Zeitgefühl verloren geht. Anm.]

 

 

Was mich am allermeisten ehrt und freut ist, dass Leute auf mich zukommen mit Anfragen:

 "Könntest du mir das reparieren oder hättest du eine Idee, wie man das umsetzen kann?"

So arbeite ich am besten.

 

  

Das heißt, Menschen in deiner Umgebung tragen verschiedenste kreative Projekte an dich heran? 

 

Was mich am allermeisten ehrt und freut ist,  wenn Leute auf mich zukommen mit Anfragen: 

„Könntest du mir das reparieren oder hättest du eine Idee, wie man das umsetzen kann?“

 

So arbeite ich am besten: wenn ich konkrete Aufgabenstellungen bekomme, die aber etwas komplett Neues sind, bei denen ich lernen darf und wo ich etwas machen kann, das einen Wert hat und worüber sich andere Menschen freuen (weil sie das zum Beispiel selbst nicht machen hätten können, oder weil sie keine Zeit hatten sich das anzueignen). Jetzt zum Beispiel ändere ich für jemanden einen Overall, der zu klein geschnitten ist. Kürzlich habe ich zwei Daunenmäntel repariert und jetzt nähe ich einen Christmas stocking

 

 

Die Hemmschwelle etwas Neues auszuprobieren ist bei mir relativ niedrig. Ich trau’ mich über Sachen d'rüber, wo andere sagen, dafür nehm ich mir jetzt nicht die Zeit oder das scheint mir zu komplex.

 

 

Die Hemmschwelle etwas Neues auszuprobieren ist bei mir relativ niedrig. Ich trau’ mich über Sachen d'rüber, wo andere sagen, dafür nehm ich mir jetzt nicht die Zeit oder das scheint mir zu komplex und ich bin halt so: "Schau’ ma mal, vielleicht wird’s was!" Ich glaube, das ist eine Qualität, die mich auszeichnet.

 

Gibt es einen Bereich, wo du dein Wissen im Moment vertiefen möchtest? 

 

Was mich gerade besonders interessieren würde ist bei einer Qualitätspolsterei in die Lehre zu gehen und wirklich jeden Schritt bis ins Feinste zu lernen, Zugang zu haben zu sämtlichen Materialien, die man braucht und die Techniken so super zu lernen, dass ich sagen kann, es ist nicht trial and error, sondern es sitzt jeder Handgriff.

 

Denn das, was mich an Kunst und Kunsthandwerk so fasziniert ist, dass es so viel detailreiches Können fordert. Ich glaube nämlich es ist immer wichtig anzuerkennen, dass es gerade im Handwerk spezifische Ausbildungen gibt und dass man manche Sachen nicht durch drei Wochen mal ein paar Bücher lesen lernen kann. Zumindest in einer Qualität und in einer Professionalität, die man erhält, wenn man das in langjähriger Arbeit und mit tradierten Techniken und Materialien und Werkzeugen macht. Das hat einen speziellen Stellenwert, den man nicht außer acht lassen sollte.

Und das ist letztendlich eine Fähigkeit, die sehr viel Wert hat, finde ich, weil man eben einem Möbelstück ein neues Leben geben kann, bei dem das Holz noch gut ist, oder das ein schönes Design hat; weil es ein individuelles Stück ist, wenn es Hand gemacht ist. Dadurch will ich jetzt nicht aberkennen, dass größere Möbelhäuser keine gute Qualität machen, sondern einfach auf einer anderen Ebene. 

 

Könntest du dir vorstellen damit dein Geld zu verdienen?

 

Wenn das eine Möglichkeit wäre, dass es mich auch finanziell so weit trägt, dass ich davon Leben kann, dann wär das der absolute Hammer!

Ich arbeite gerne allein und daheim, zwar nicht nur, das ist eh klar, aber es tut mir auf jeden Fall gut mich zu konzentrierten. 

 

Du hast vorher den Flow-Zustand angesprochen. 

 

Ja, das war such schon als Kind so, dass ich stundenlang etwas gezeichnet oder gebastelt habe. Meine Mama sagt das zumindest immer – am aller Ruhigsten war’s mit mir, wenn ich in meinem Zimmer war und mein Ding machen konnte. 

 

Hat deine vorherige Arbeit das beeinflusst, was du jetzt machst? Oder sagen wir so:

Was hast du davor gemacht? ;) 

 

Vor Corona habe ich in der Filmbranche gearbeitet, hauptsächlich im Props Department und ein bisschen im Costumes Department. Spielfilmdrehorte sind ein echt spannender Arbeitsplatz, an dem unglaublich talentierte Leute aus allen möglichen Spezialbereichen zusammenkommen. Es ist ein sehr kreatives Arbeitsfeld und es war ein richtiges Glück an mehreren großen Projekten mitarbeiten zu dürfen und von Spezialisten zu lernen. Auch wenn die Arbeitstage oft lang und anstrengend sind (oder vielleicht gerade deshalb), dass man sich manchmal nicht mehr sicher ist, ob es nicht eigentlich noch gestern ist, wird man mit den skurrilsten Situationen und schönsten Sonnenaufgängen belohnt.

 

 

Auch wenn die Arbeitstage oft lang und anstrengend sind, wird man mit den skurrilsten Situationen und schönsten Sonnenaufgängen belohnt.

 

 

Was war am Filmset das spannendste und das enttäuschendste Erlebnis?  

 

Natürlich gibt’s Situationen, die überwältigend und nicht so super sind, weil man mit vielfältigen Menschen auf engem Raum intensiv zusammenarbeitet.

 

Aber was die besseren Erlebnisse betrifft, dann ist sicher eines davon, in einem Fischeranzug in einem halb zugefrorenen See zu stehen und einen Angelhaken vor der Kamera auf und ab wippen zu lassen. Ich bin nicht im Bild, aber ich bin diejenige, die den Angelschwimmer bewegt. Dann höre ich über das Walkie Talkie, dass ein Bär am Ufer ist und dass sich alle Crewmitglieder so schnell und so sicher wie möglich zum Truck bewegen sollen. Das Kamerateam und ich haben uns gefragt: "Wos damma jetzt?!?!", denn der Bär war genau zwischen uns und der Sicherheit. Das heißt unsere beste Chance war im Wasser zu bleiben und zu hoffen, dass der Bär nicht in unsere Richtung kommt! So war es dann zum Glück auch!

 

Wenn ich noch ein zweites spannendes Erlebnis erzählen darf…

 

Hau raus!

 

In meiner ersten Produktion, bei der ich als Trainee mitgearbeitet habe, haben wir mit Special Effects und Stunts Unit eine Verfolgungsjagd gedreht und der Höhepunkt dieser Verfolgungsjagd hat dann mit einem car flip, einem Autoüberschlag, geendet. Es war im Spätseptember mitten in der Nacht in einer kleinen Stadt außerhalb von Winnipeg. Es baut sich alles auf, denn zuerst dreht man Sequenzen, die zu diesem Überschlag führen und es gibt stufenweise Annäherung an die Endgeschwindigkeit und Probeeinstellungen. Es ist wirklich extrem spannend, du merkst es allen Crewmitgliedern an, dass es da um etwas geht. Es ist eine spezielle Herausforderung für die Stuntleute und du hast ja nicht 100 Autos, die du verschleudern kannst. Man hat diese riesigen Lichtanlagen, die die Szene ausleuchten, am Set ist es ganz still und dann hat es genau in dem Moment angefangen zu schneien. Wirklich eine ganz spannungsvolle Stimmung!

  

Schaust du jetzt Filme oder Serien anders als vorher? 

 

Teilweise. Ich schaffe es schon bei Filmen und Serien, die gut gemacht sind, darin zu versinken und zu vergessen, dass man das auch von einer anderen Seite her kennt. 

Aber zum Beispiel, wenn ich mir eine Serie nochmal anschaue, dann fallen mir Sachen auf, speziell die, die mein eigenes Department betreffen.

Zum Beispiel fällt mir auf, wenn sich jemand einen frischen Kaffee macht, der aber nicht dampft; oder wenn Statisten einen Aktenkoffer herumtragen, diesen aber so hin und her schlenkern, dass man denkt: "Da ist sicher nix drinnen."; oder, wenn Autokennzeichen von einer Einstellung auf die andere unterschiedlich sind; oder, dass das Essen auf einem Teller anders arrangiert ist, obwohl der Schauspieler keinen Bissen genommen hat.

 

Speisen sind übrigens ein großer Teil des Props Department. Nach jedem take wird das Essen genau wieder so platziert, wie es vorher war. Ich glaube es ist auch eine große Herausforderung für Schauspieler, dass man nach jeder Einstellung noch genau weiß, wie man einen Löffel gehalten oder wie viel man von einem Glas herunter getrunken hat. Zum Glück ist die Technologie so weit, dass es eine App gibt, mit der man Screenshots machen kann. Das ermöglicht es einem genau nachzusehen, was die Kameraeinstellung war, was man sieht und nicht sieht und man somit eine Vergleichsmöglichkeit hat – eben wenn man eine Szene nicht am Stück dreht.

 

 

Ich hab zum Beispiel mal Hundekacke machen dürfen.

Und sie dann gegessen.

 

 

Gibt’s ein prop, eine Requisite, die am Interessantesten zu machen war? 

 

Ich hab zum Beispiel mal Hundekacke machen dürfen. Weil in einer Szene jemand in ein Häuferl hineingestiegen ist. Da man es den Schauspielern nicht unbedingt antun möchte in echte Hundekacke zu steigen und vor allem ist es nicht so leicht Hunde dazu zu bekommen 10 gleich aussehende Häuferl zu legen, habe ich das übernehmen dürfen. Es war eine sehr amüsante Situation, als ich dann mit Hundekacke am Tablett ans Set gekommen bin. Es gibt auch Fotos, als ich die Hundekacke dann gegessen habe – sehr zur Belustigung des Teams. 

 

Da Tiere Charakterdarsteller waren, habe ich auch Hundeattrappen aus Schaumstoff und Drahtinnenleben bauen dürfen. Um zu garantieren, dass Tiere nicht ausgenutzt oder überfordert werden, gibt es sehr strenge Regelungen und strikte Auflagen. Das ist sehr wichtig. Dadurch, dass das gesamte Kamera- und Lichtteam die Szene zuerst ausleuchten müssen, gibt’s auch für Schauspieler sogenannte Stand-Ins, also Leute die dieselbe Größe, Statur, Haut- und Haarfarbe haben. Diese stehen dort bis zu dem Zeitpunkt, an dem dann wirklich gedreht wird. Bei Tieren geht das natürlich nicht – da kommen die Attrappen ins Spiel. Außerdem haben die Schauspielerinnen und Schauspieler ein Sichtlinie, wenn das Tier nicht im Shot ist. 

 

Mut hat so viele Facetten. Was war – deiner Meinung nach – das Mutigste, das du bisher gemacht hast? 

 

Das schließt an das an, was ich zu Beginn gesagt habe: eine niedrige Hemmschwelle Neues auszuprobieren. Der Mut zur Veränderung. Der hat nämlich dazu geführt, dass ich dann Sachen gemacht habe, die ich mir vorher vielleicht nicht so zugetraut hätte. 

Als ich noch in Österreich war, habe ich Zeit lang mit einem Baumpfleger zusammengearbeitet und habe gelernt mit der Motorsäge zu schneiden und auf Bäume zu klettern. 

 

 

Eines der mutigsten Sachen, die man als Mensch machen kann, ist sein Daheim zu verlassen. Und ich habe das Glück, dass das bei mir aus freien Stücken geschehen ist.

 

 

Nach Kanada willentlich auszuwandern war jedenfalls eines der Mutigsten Sachen, die ich gemacht habe, vor allem weil ich ein sehr sehr starkes und liebevolles Familienumfeld habe. Eines der mutigsten Sachen, die man als Mensch machen kann, ist sicherlich sein gewohntes Umfeld zu verlassen. Und ich habe das Glück, dass das bei mir aus freien Stücken und absolut planbar war. Ich kann mir nicht vorstellen wie das für jemanden sein muss, der sich das nicht aussuchen kann und sein Zuhause verlassen muss, weil Krieg herrscht, weil man verfolgt wird oder weil es keine Möglichkeiten gibt, so zu leben, wie man leben möchte. Ich glaube, dass das viel zu wenig geachtet wird, was das für einen Mut verlangt von Menschen. Das bewundere ich sehr an Menschen, die das aus Notwendigkeit machen und in andere Kulturen kommen, wo Sprache und Schrift anders sind.

 

 

Ich merke immer mehr, wie wichtig es ist und, dass es mir gut tut, großzügiger und liebevoller mit

anderen und auch mir selbst umzugehen.

 

 

Dein persönliches "Leo für die Seele“ (mein Codewort für Entspannungs-Skills) in Krisenzeiten oder ein Motto, das dir hilft? Ein Spruch von dir, den ich in letzter Zeit sehr oft verwendet habe: „Wos wüst denn mochn außer lochn"…

 

Ja, „Wos wüst denn mochn außer lochn“ ist immer gut. 

 

Etwas, das ich immer wieder unterschätze, bis ich es wirklich tue, ist ein einfach eine Runde spazieren gehen. Es hat noch kein einziges Mal gegeben, wo ich nicht von einem Spaziergang zurück gekommen bin und es mir nicht um ein Hauseck besser gegangen ist. 

Stricken ist etwas, das mich sowohl entspannt als auch herausfordert – je nachdem an welchem Punkt vom Strickmuster ich gerade bin. ;) 

Und kochen und zeichnen und...

 

Mein persönliches Motto wechselt immer wieder, je nachdem, was mir in die Quere kommt.

Vor kurzem bin ich über das gestolpert (beim QueerEye schauen um genau zu sein :D) und finde, es passt ganz gut:

 

It's never too late to be what you might have been.

– George Eliot

 

Und ich merke immer mehr, wie wichtig es ist und gut es mir tut, großzügiger und liebevoller mit

anderen und auch mir selbst umzugehen.

 

Ich danke dir sehr für das Gespräch und es freut mich, dass ich dich dadurch auch noch ein Stück weit besser kennen lernen durfte. <3

 

Hast du zum Schluss noch Film-, Podcast- oder Buch-Tipps für uns? 

 

Bücher, die mich in letzter Zeit begeistert haben:

  • „Such a fun Age“ von Kiley Reid
  • „Juliet takes a breath“ von Gabby Rivera
  • „Like a Mother“ von Angela Garbes

 

Filme und Shows [Auswahl]:

  • Hannah Gadsby's „Nanette“ und „Douglas“ Comedy Specials auf Netflix
  • The Fall“ (2006) – hab ich glaub ich schon 5 mal gesehen, immer wieder berührend und vielschichtig.
  • „The Good Place“ Serie – unendlich lustig, hätte nie gedacht, dass ich mich mal für Moralphilosophie begeistern würde. Hab mir auch den dazugehörenden Podcast angehört, auch sehr empfehlenswert!
  • „The Queen's Gambit“ – rundum gut gemacht, großartige Schauspielerinnen und einfach schöne Geschichte...

Podcasts [Auswahl]:

  • Great Women in Art Podcast 
  • The Guilty Feminist Podcast (UBH: Utter British Hilarity)
  • In Defense of Plants Podcast 

 

Spiele für lange Winterabende:

  • Dominion (online und als Kartenspiel)
  • Bananagrams (das Scrabble des 21. Jahrhunderts)
  • Among Us (App)
  • Cribbage (Kanadischer Klassiker)
  • Kampfpatience (hab ich mit ca. 7 gelernt und bin seither beinahe ungeschlagen, gut fürs Ego)

 

Kulinarische Entdeckungen des Jahres 2020:

Pulled BBQ Jackfruit Poutine und Banh Mi

 


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