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MATHE TRIFFT KUNST.  PAPA & ICH IM MUSEUM

Mein Papa ist Mathematiker. Ich nicht. Das hat in der Vergangenheit oft zu Spannungen und Unverständnis auf beiden Seiten geführt. Jetzt haben wir gemeinsam eine Kunstausstellung besucht, wo Mathematik eine Hauptrolle spielte. 

Kennt ihr diese gelben Schilder "Mathe ist ein Arschloch"? Ich besitze keines – so weit wollte ich dann doch nie gehen. Ich behaupte jetzt mal: mein Zugang ist einfach ein anderer. Für mich ist etwa die Zahl Acht dunkelblau und knautschig. Andere Zahlen haben andere Farben und "Körperlichkeiten". Bei der Mathehausübung hab ich mich am meisten auf die Zierleiste am Ende gefreut, die ich schon mal als halbseiten füllenden Pferdekopf gestaltete. Jedenfalls hat es mich nach der Schulzeit beruflich und privat zu Sprachen und Kunst hingezogen und Papa zu Mathematik, Informatik und Musik. Ich - geprägt von unlösbar scheinenden Mathe-Aufgaben, bin nach wie vor stets auf der Suche nach der einen richtigen Lösung für alles (zuweilen neige ich dazu nach Problemen zu suchen, nur um diese anschließend lösen zu können) - griff eines Tages zum Handy und berichtete ihm von einer Ausstellung wo sich unsere Professionen quasi verbinden. Eine Zusammenführung unserer Interessen in einem Kunstmuseum? Wer hätte das gedacht!

In der Kunsthalle Krems war bis letzten Sonntag eine Einzelausstellung von der deutschen Künstlerin Jorinde Voigt zu sehen, die mathematische, physikalische, musikalische und sprachliche Komponenten in ihrem Werk vereint. Interdisziplinarität, die auch für Schulklassen interessant ist. Die KunstvermittlerInnen dort sind darauf vorbereitet, siehe auch ihr Projekt dazu, das über culture connected läuft. Da wir beide auf die eine und andere Weise im Sektor der Bildung gelandet sind, war das für uns gleichermaßen spannend. Wie vermittelt man solch komplexe Inhalte, wo sind z.B mathematische Codes zu finden und welche Möglichkeiten gibt es diese "weiterzuverarbeiten"? Das konnten wir am vorletzten Sonntag bei einer öffentlichen Führung um 14:00 erfahren und erfragen.  

Am Berührendsten waren für mich Serien, wo Zustände ihres inneren Erlebens in Zeichensysteme und abstrakte Farbflächen umgesetzt wurden. Empfindungen, die Windrichtung, der zurückgelegte Weg, die unterschiedlichen Erscheinungsbilder von Blumen...dieser Umgang mit (Sinnes-)Eindrücken und bestimmten Phänomenen scheint sich durch ihr ganzes Werk zu ziehen. Um diese Eindrücke zu sortieren und auf einem weißen Blatt Papier in Ordnung zu bringen, bediente sie sich schon mal eines mathematischen Algorithmus, wie in der 5-teiligen Serie "2 küssen sich" von 2006. Bitte, welcher Rhythmus

 

"Die Verwendung des Wortes  'Algorithmus' ist in den letzten drei Jahren um 1500% gestiegen, während das Wissen um seine Bedeutung nur um 0,15% wuchs." (@made-up stats via "Mathe macht lustig", S.74 BECK)  

 

Hier nochmal für mich zum Mitschreiben: Algorithmus bezeichnet das Schema eines Berechnungs- oder Bearbeitungvorganges, um zu einer Lösung zu gelangen (z.B. festgelegte Rechenvorgänge, wie wir sie aus der Schulzeit kennen)...so manch ein Schema lässt sich hingegen bis in die Unendlichkeit fortsetzen wie etwa die Zahlenreihe der Fibonacci-Folge, welche Voigt in "2 küssen sich" einsetzte, um auszudrücken, dass die Aktionsabläufe von küssenden Paaren "in der Vorstellung ein unendlich weiterschreibbares Modell sind" (Voigt). Diese algorithmischen Wachstumsfolgen helfen ihr also beim Sortieren, da eine bestimmte Zahlenreihe und dadurch die Dauer, der zeitliche Abstand zur nächsten Aktion etc. fix vorgegeben sind. Jedoch fiel uns irgendwann auf, dass sich bestimmte gezeichnete Vorgänge nicht nur für uns, sondern sich allgemein (puh!) nicht logisch erklären lassen und ihren eigenen Gesetzen folgen.... wie kommt's? Die Künstlerin lieferte dazu Antworten im Gespräch mit Stephanie Damianitsch (Berlin, Juli 2015): 

 

"Hier gibt es kein Richtig und kein Falsch, sondern nur ein Spektrum unendlich vieler Möglichkeiten, aus dem ich stets jene wähle, die mir spontan einfällt. (...).

 

In dieser Spontaneität liegt natürlich sehr viel Ausdruck, da sich dadurch der Moment, in dem man sich befindet, bewusst oder weniger bewusst einschreibt. Die Spontaneität verbindet den Algorithmus schließlich auch mit dem Zufall, mit dem Chaos. Ich verstehe Zufall und Chaos als Freiheit (...)"

 

Wie erfrischend! :) Ich könnte meine etwas unmathematischen Assoziationen dazu bis in die Unendlichkeit ausführen. Es gibt nicht für alles eine Lösung - zumindest nicht sofort; mehr Handlungsspielraum wenn man sich die Freiheit lässt intuitiv zu entscheiden,... Zeichnen, sowie Zeichnungen rezipieren als Erkenntnis. Nun zwar mega weit weg von Super-Top-Checker, aber mein Entdeckergeist war geweckt und mathematische Formeln habe ich danach selbständig recherchiert. Ich wollte es genauer wissen! Motiviert von diesen Erfahrungen habe ich jetzt zu einem Buch zum Thema visuelle Bildung vom kopaed-Verlag gegriffen: "Denken und Lernen mit Bildern", da ich persönlich einmal mehr gemerkt habe wie mir die Auseinandersetzung mit Bildern beim Verstehen, Erkennen und Lernen hilft. Auf dem Kulturtussi-Blog gibt es dazu auch ein spannendes Interview; hier nachzulesen. Das Thema visuelle Bildung, sowie das Thema "Lernen mit allen Sinnen", wird mich in Zukunft noch weiter beschäftigen. 

 

Welche Erfahrungen habt ihr damit?

 

Macht es für euch Sinn z.B. in der Schule unter Einsatz von Kunstwerken, Cartoons, Diagrammen, Tabellen etc. (komplizierte) Sachverhalte zu erklären?

 

Oder ist das zu einseitig (man denke nur an die verschiedenen Lerntypen bzw. idealerweise die Einbeziehung aller Sinne um Wissen zu festigen)?

 

Ps.: Da in der Ausstellung fotografieren nicht erlaubt war, habe ich nachträglich ein fingiertes Foto in mein Skizzenbuch gekritzelt. Oben also zu sehen ein "Selfie" mal anders...


**UPDATE** Vortrags-Tipp: Geometrie und Mathematik in Natur und Kunst, Mittwoch, 27. April 19:00 - 20:00, 21er Haus, Quartier Belvedere, Arsenalstraße 1, 1030 Wien. 

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Kommentare: 6
  • #1

    Leni (Dienstag, 14 Juni 2016 20:59)

    Die Zeichnung ist super

  • #2

    Sophie (Dienstag, 14 Juni 2016 21:49)

    Danke!

  • #3

    Anke von Heyl (Freitag, 15 Juli 2016 14:42)

    Hallo Sophie,

    wieso entdecke ich dein Blog jetzt erst?
    Danke für die Verlinkung und danke für den schönen Beitrag. Eine spannende Betrachtung und tolle Hinweise auf die Verbindung von Mathe und Kunst. Habe ich sehr gerne gelesen. Und anscheinend muss ich mal ein bisschen Zeit mitbringen, um hier zu lesen, was du sonst alles machst.
    Übrigens: die Verbindung von Kunstvermittlung und Zeichnen - da gibt es bestimmt noch viele tolle Möglichkeiten. Ich habe auch gerade in der Ausstellung "Dada Genese" wunderbare Schaubilder von Adrian Notz gesehen, die die Zusammenhänge dieser Kunstbewegung deutlicher machten, als es jede "Führung", jeder Vortrag jemals gekonnt hätte!

    Herzliche Grüße aus dem Rheinland
    Anke aka Kulturtussi

  • #4

    Sophie (Samstag, 16 Juli 2016 11:24)

    Liebe Anke!
    Wie schön, dass dein Weg dich hierher geführt hat - ich freue mich sehr über dein Kommentar! Danke auch für den Hinweis!!
    Streng genommen hab ich ja in den Artikel gleich ein paar Bereiche hineingeschummelt, die alle einer eigenen Beschäftigung wert wären. ;-) Interdisziplinarität, Zeichnen und Kunstvermittlung, visuelle Bildung,... alles spannende Themen, bei denen ich immer für Hinweise dankbar bin.
    Alles Liebe,
    Sophie

  • #5

    Papschn (Dienstag, 01 November 2016 18:08)

    11235813213455 Fibonacci lässt grüßen, danke für den lehrreichen Nachmittag!

  • #6

    Sophie (Mittwoch, 07 Dezember 2016 18:23)

    Haha! Danke dir!! ;-)